Der Titel „Wunschloses Unglück“ erscheint auf den ersten Blick unverständlich und entzieht sich unserer Vorstellungskraft – nach dem Lesen der Erzählung aus dem 1972 wird jedoch klar, was Handke mit dieser Wendung meint.
Wenn im Glück keine Wünsche offen sind, weil eben alles so ist, wie man es sich erträumt hat, sprechen wir davon, wunschlos glücklich zu sein. Die meisten Menschen in der heutigen Zeit, werden zugeben, dieses Gefühl zu kennen und im gleichen Augenblick aber neue Wünsche formulieren. Was aber, wenn man so im Unglück lebt, dass man sich nichts anderes mehr vorstellen kann, als unglücklich zu sein und keine Wünsche mehr zu haben? – ein wunschloses Unglück eben!
Sieben Wochen nach dem Suizid seiner Mutter beginnt Peter Handke die Erzählung „Wunschloses Unglück“ zu schreiben. Er zeichnet akribisch ihr gesamtes Leben nach und erinnert sich an viele Einzelheiten, die er gekonnt formuliert. Neben der reinen Erzählung über das Leben seiner Mutter Maria, bindet er immer wieder eigene Empfindungen während des Schreibens ein und nennt Motivationen für bestimmte literarische Kniffe und Wendungen. Er schildert genau, warum er den traurigen, unglücklichen, wunschlosen und doch verblüffenden Lebensweg in einer Erzählung verarbeiten muss und veröffentlicht sein Buch dann im Februar 1972.
Wunschloses Unglück
Grundsätzlich beschreibt das Werk den Werdegang einer Frau aus einem ärmlichen Milieu, die sich zu emanzipieren und zu verwirklichen versucht. Von der Kindheit, über die Zeit des in Österreich aufkommenden Nationalsozialismus, über den Zweiten Weltkrieg und die Nachkriegsjahre, jeden Einzelheit, die das Leben der armen Landbevölkerung in Kärnten prägte, wird genauesten berichtet.
Und die Mutter? Eine Frau, die Träume hatte, ihren Weg gehen wollte und doch an den gesellschaftlichen Normen, der Armut und einer vorgefertigten Rolle scheiterte. Unglücklich in der Ehe, in der Rolle als Hausfrau und unglücklich in einer Gesellschaft ohne Individuen. Sie ergibt sich schließlich den Sitten und der gesellschaftlichen Rolle einer armen Frau, und lebt nur manchmal auf und durchbricht den Kreislauf. Der brillante Abschluss, der Ausstieg aus dem Kreislauf ist dann selbst gewählt und bestimmt – der Selbstmord.
„Wunschloses Unglück“ – mehr als 50 Jahre Lebensweg in einem dünnen Buch mit langen Sätzen. Trotz seines Umfangs ist das Buch nichts für Zwischendurch, sondern wegen Handkes Schreibstil literarisch anspruchsvoll – wenn auch teilweise mühsam zu lesen.
Das gesamte traurige und ernüchternde Leben einer armen Frau, die es nicht schafft aus einem vorgefertigten Rollenbewusstsein zu fliehen. Oder doch?
Peter Handkes „Wunschloses Unglück“ – für den Kopf, literarisch und lesenswert
Zum Autor: Peter Handke
Peter Handke ist ein in Österreich geborener Schriftsteller und Übersetzer.
Handke wurde am 6. Dezember 1942 in Griffen (Kärnten) geboren und hat neben Erzählungen und Romanen auch Drehbücher geschrieben. Ab 1966 veröffentlicht er unzählige literarische Werke und erhält etliche Preise und Auszeichnungen. Seine Erzählung „Wunschloses Unglück“ wird 1977 vom ORF verfilmt.
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